Es ist ein herrlicher und sonniger Herbstmorgen und meine heutige Tour führt mich an die Grenze zwischen dem Kanton Argau und dem Kanton Luzern. Gleich am Fusse des Stierenberges befindet sich der Rigiblickhof.
Schon bei der Einfahrt kann ich die Geschichte spüren. Überall befinden sich Reliquien, die wunderschön in die Hofbauten eingebunden und liebevoll dekoriert worden sind. Alte Laternen, Giesskannen, Pfannen, die heute als Pflanzenkübel genutzt werden, eine alte Waschtrommel als Holzkohlefänger, Schubkarren, aus denen noch leuchtend rote Geranien hervorspriessen, als wollen sie auch noch einen Blick auf die Rigi erhaschen, bevor dese für die Wintermonate im Schnee versinkt.
Es ist 10 Uhr und sehr ruhig. Ich habe die Befürchtung, dass ich ein wenig zu früh bin und die Gastgeber an ihrem wohlverdienten Sonntag ausschlafen. Also begebe ich mich auf Entdeckungstour rund um den Hof. Er besteht aus mehreren grossen Gebäuden. Da ist zunächst das Haupthaus, daneben ein grosser Stall mit einer einladenen Sonnenterrasse, die ausschliesslich den Kühen gehört. Aber auch hier ist es still und leer.
Ich gehe um das Haus herum und entdecke neben dem leise plätschernden Brunnen eine kleine Eingangstür. Da sie nicht verschlossen ist, gehe ich hinein. Ha, und wer hätte es gedacht. Hier wird geschuftet. Nach all den Besuchen und Begegnungen bei den verschiedenen PlaceToBee Gastgebern sollte ich wissen, dass es kein langes Ausschlafen auf Bauernhöfen gibt; und schon gar nicht an einem warmen und so schönen sonnigen Sonntagmorgen. Yvonne begrüsst mich mit einem lauten und motiviertem „Guete Morge!“ und kann mir ihre Hand nicht geben, denn damit knetet sie das Brät aus frischem, gehacktem Rindsfleisch.
Heute erwartet sie eine Gesellschaft zum Mittag und hat noch viel zu tun. Jetzt muss sie auf alle Fälle schnell in den Gästeraum, um das frisch gebackene Brot aus dem Ofen zu holen, bevor es verbrennt. „Na klar“, denke ich erstaunt, „am Sonntagmorgen wird hier schon selbst Brot gebacken!“ Damit wir uns ein wenig unterhalten können, biete ich ihr an, mit anzupacken. Wir lernen uns ein wenig kennen, während wir die Zutaten für das Mittagessen die schöne Treppe hinauf in den Gastraum tragen. Es riecht köstlich nach dem knusprigen Gebäck und die Tische sind schon gemütlich gedeckt. Denn auch hier finden sich tolle Dekorationen aus alten analogen Fotokameras, Telefonaparaten aus Urzeiten und Werkzeuge, die sonst auf dem Bauernhof zu finden sind.
Die Brote werden aus dem Ofen geholt und der Hackbraten hineingeschoben. Yvonne geht im Kopf noch einmal schnell ihre Liste an Dingen durch, die es zu tun gibt. Dann schnauft sie aus und gönnt sich eine kleine Pause, in der sie mir ihr persönliches Herzstück auf dem Hof zeigt. Es ist ein alter Bauwagen, ihre Oase, in der sie ausruht, auftankt und sich Zeit für sich gönnt. Im grossen Garten unter den Obstbäumen, neben dem Abenteuerspielplatz für Kinder, hat sich Yvonne hier ihr wunderschönes Plätzchen mit Blick auf die Rigi eingerichtet. Hier liest sie, trinkt Tee, hält einen Plausch mit Freunden oder macht es sich an kälteren Tagen neben dem Holzofen gemütlich.
Es hed, was es hed
Denn obwohl die Arbeit anstrengend und oft sehr fordernd ist, sagt sie: „Wir haben grosses Glück, den schönsten Beruf in einer traumhaften Landschaft ausüben zu dürfen.“ Sie erklärt mir, wie sie im Einklang mit der Natur und ihren Tieren leben, bescheiden und doch voller Reichtum, wenn sie erkennt, dass das „was es hed“ so erfüllend ist.
Auf ihrem Hof hat es einiges: zunächst sind es die Mutterkühe mit ihren Kälbern, um die sich alle liebevoll kümmern. In den warmen Monaten werden sie täglich vom Stall auf die Weide geführt. Nachts werden sie per Kamera überwacht, um sicherzustellen, dass es ihnen an nichts fehlt. Insbesondere wenn eine Geburt ansteht.
Auf dem Instagramprofil @rigiblickhof kann man eindrücklich eine solche Geburt anschauen. Bei solch glücklich aufgezogenen Tieren können nur leckere Produkte entstehen. Diese werden selbst hergestellt und direkt vom Hof vermarket. Ein offizielles Lädeli hat es nicht, denn es „hed was es hed“ und das variiert von Zeit zu Zeit. Ungefähr einmal pro Monat gibt es Frischfleisch nach IP Suisse Standard zur Vorbestellung, hinzu kommen naturreine Huuswürstli, Rauchwürstli, Mostbröckli, Servela und Wienerli – alles ohne Nitrinpökelsalz und saisonales Obst und Gemüse. All das wird auch bei der Gästebewirtung verarbeitet und angeboten oder nach Wunsch auch in schöne Geschenkkörbli verpackt. Yvonne hält es dabei sehr pragmatisch und kundenorientiert. „Es hed was es hed“ und sie macht mit viel Liebe daraus, was die Kunden sich wünschen.
Nach unserem Rundgang darf ich mir einen Stellplatz aussuchen. Auch hier gilt wieder: „es hed, was es hed“. Und es hat genug Platz. Ich entscheide mich für einen Sonnenplatz gleich neben der Weide.
Hilfe beim Parkieren bekomme ich von Vic. Genauso wie seine Frau Yvonne ist er eine Frohnatur. Herzlich, offen und voller Elan begrüsst er mich. Er kommt gerade zurück von der Weide, auf der die Kühe jetzt den Rest des Sonntags verbringen. Und ich schaue ihnen dabei zu…bis mich Vic und Yvonne gegen Abend zum Essen rufen.
Essen ist ein Bedürfnis - Geniessen eine Kunst
Am Tisch erwarten mich noch zwei weitere Gäste: Margrit, die Mutter von Vic und Sämi, einer der drei Kinder von Vic und Yvonne. „Es hed, was es hed“: Nudelsalat, Plättli mit diversem Trockenfleisch, Hackbraten und das frisch gebackene Brot vom Morgen. Ein buntes und leckeres Allerlei, alles frisch und vom Hof.
Und so sitzen wir da, geniessen und erzählen uns einander unsere Lebensgeschichten. Als ich erwähne, dass ich meine ersten Vanlife-Erfahrungen in Kalifornien entlang dem Pacific Coast Highway CA-1 gemacht habe, schreit die 94-jährige plötzlich auf Englisch. „That’s where I’m coming from!“ Mit leuchtenden Augen und schwelgendem Lächeln, erzählt sie von ihrer Zeit in San Luis Obispo, die sie mit ihrem Mann auf einer Farm verbracht hat. Und zur Überraschung erfahre ich auch, dass Vic dort als zweitjüngster Sohn geboren wurde. So klein ist die Welt und nun finden wir uns alle gemeinsam am Tisch in Reinach in der Schweiz wieder. Unter diesem Motto öffnen die Leutwylers ihren Hof nun für PlaceToBee Gäste, um sich die Welt und spannende Gäste zu sich zu holen. Denn es braucht nicht immer eine Weltreise, um so viele tolle Geschichten und Menschen kennenzulernen.