Der Obstbauer aus dem Thurgau und der Fischer vom Meer

Der Obstbauer aus dem Thurgau und der Fischer vom Meer

Heute möchte ich meinen Reisebericht mit einer kleinen Zusammenfassung der Anekdote von Heinrich Böll* beginnen. Denn als ich die Familie Walser und ihren Hof kennenlernte, sah ich grosse Parallelen.

Während eines sonnigen Nachmittags spazierte ein Tourist am Strand entlang und sah, wie ein Fischer entspannt in seiner Hängematte das Meer beobachtete. Noch gestresst von seiner Arbeit fragte er den Fischer, warum er nicht draussen auf dem Meer fischte. „Bei diesen guten Bedingungen könntest du weitaus mehr Fische fangen als wenn Du hier am Strand in deiner Hängematte liegst.“ „Was habe ich davon? Ich bin mit meiner heutigen Ausbeute zufrieden“ entgegnete ihm der Fischer. „Nun ja“, sagte der Kaufmann, „die Rechnung ist ganz einfach: Je mehr Fische du fängst, desto mehr Geld verdienst du. Und mit diesem Geld kannst du dir grössere Netze kaufen, um dann noch mehr Fische zu fangen, und dann kannst du dir bald ein grösseres Boot kaufen und weiter hinausfahren, um noch mehr Fische zu fangen. Und so wird dein Unternehmen grösser und grösser, bis du irgendwann eine Fischfangunternehmen mit Mitarbeitern gründen kannst und so erfolgreich wirst, dass du nie wieder arbeiten musst, sondern hier am Strand sitzen kannst und auf das Meer blicken kannst!“ Der Fischer lächelte und sagte: „Das ist doch genau das, was ich schon mache!“

Selbstversorger als Obstbauer

Diese Geschichte kam mir sofort in den Sinn, als ich mich mit Roman Walser über seinen Hof unterhielt, den er 2016 von seinen Eltern übernommen hatte. Damals wurde dieser noch durch Milchwirtschaft betrieben, aber für ihn und seine Frau Claudia stand schnell fest, dass sie den Betrieb neu ausrichten möchten. Das langfristige Ziel war, autark und unabhängig zu sein.

Nach nun fast sechs Jahren haben sie es geschafft und sich auf die Direktvermarktung ihrer frischen und hausgemachten Produkte aus ihrem Hofgarten und von regionalen Partnern spezialisiert. Diese verkaufen sie in dem wunderschönen Hofladen, der zuvor als Kuhstall diente.

Heute findet man dort leuchtend buntes Obst und Gemüse im begehbaren Kühlraum, frischgebackenes Brot, Zopf und Gebäcke aus der eigenen Backstube und allerlei andere Leckereien. Konfitüren, Sirupe, getrocknete Früchte, Salatdressings, eingemachtes Gemüse, getrocknete Früchte und – ihre Spezialität – Liköre.

Das Sortiment wird ergänzt durch regional gefertigte Produkte, sodass die Kundschaft eigentlich alles an Lebensmitteln findet, was es auch in einem Supermarkt finden würde. Nur eben in gesünderer und besserer Qualität und teilweise günstigeren Preisen.

Durch die Toplage und die ganztägigen Öffnungszeiten (teilweise in Selbstbedienung) ist der Walserhof tatsächlich zu der Einkaufsstätte nicht nur für Einheimische geworden.

In dem Gespräch erklärt mir Roman, wie sie es in den letzten Jahren geschafft haben, den Hof zu umzubauen, sodass sie sich grösstenteils selbst versorgen können.

So sammeln sie zum Beispiel das Regenwasser in einer Aufbereitungsanlage, beziehen Strom durch Solarkollektoren, verwenden den Mulch des Obstgartens zur Düngung des Spargels. All dies funktioniere nur so gut, weil sie sich dazu entschieden haben, im kleinen Rahmen anzubauen und zu wirtschaften. Somit bleibt den beiden Eltern eben auch genügend Zeit für die Familie und die Kinder.

Ebenso können sie durch diese Massnahmen den Kunden auch günstigere Preise anbieten. Ausserdem verschafft ihm diese Übersichtlichkeit auch die Musse, neue Sorten auszuprobieren und anzubauen. So sind sie zum Grünspargel gekommen und neuerdings auch auf Kürbisse, in den verrücktesten Formen, Farben und Grössen und süsse Melonen und und und…

Die Bilder sprechen für sich und „s’hätt so lang’s hätt“. Für die Walsers ist das ein Konzept, das rundherum vollends aufgeht und sie allesamt glücklich macht.

Und jetzt die Geschichte vom Apfel

Man könnte meinen, der Apfel sei etwas Unscheinbares und Gewöhnliches, ein unauffälliger Begleiter und alltäglich, empfiehlt der Doktor doch einen pro Tag zur Gesunderhaltung. Und doch ist er etwas Besonderes. Was wären Wilhelm Tell, Schneewittchen und Adam’s Eva ohne ihn?

Auch im Thurgau spielt er eine wichtige Rolle. Als Hauptanbaugebiet in der Schweiz ist das Thurgau bekannt für „Öpfel und Moscht“ und wird wegen dessen Form auch scherzhalft Mostindien genannt. Roman hat jedoch entschieden, sich auf andere Obstsorten zu spezialisieren. Mit rund 210.000 Hochstämmern gäbe es schon genügend Apfelbäume und der Wettbewerb ist gross. Er bleibe lieber klein.

Und wieder sind wir bei der Anekdote von Böll, dass weniger mehr ist. Also macht Roman das, was er am besten kann. Apfelschnaps „mit eingewachsener Frucht“, wobei ein ganzer Apfel in der Flasche sein Aroma an den Alkohol abgegeben hat.

Die Besucher von PlaceToBee, die auf dem Hof vorbeischauen, stehen nach Wahl und Saison entweder zwischen Apfelbäumen, hinter dem alten Kuhstall vor den Kürbisbeeten oder dem Gewächshaus.

Jeder Stellplatz ist wunderschön und sehr ruhig. Und wenn man Roman sehr nett fragt, darf man seinen Camper auch über den Tag stehen lassen, um sich die nahegelegenen Sehenswürdigkeiten anzuschauen. Alle sind mit dem Velo sehr gut zu erreichen. Und so bietet sich eine Radtour zur Apfelblüte im Frühjahr oder während der Apfelernte im Herbst durch das Thurgau an.

Die Farbenpracht verwöhnt das Auge. Die historische Stadt Arbon liegt nicht nur am Bodensee und ist damit Ausgangspunkt für Schiffsfahrten, sondern beherbergt auch eine eindrückliche Altstadt mit hübschen Bauten aus der Römerzeit. Ich kann persönlich einen Besuch im MoMö empfehlen. Die Mosterei Möhl bietet Werksbesichtigungen an und einen Rundgang durch das Most- und Brennereimuseum. Der schöne Shop hat tausend kleine Kleinigkeiten rund um den Apfel.

Mein persönliches Fazit: ich habe das Thurgau mit seiner schönen Landschaft und kulinarischen Schätzen reichlich unterschätzt.

Ich frage mich noch immer, wie der Apfel und auch die anderen Früchte durch den engen Flaschenhals in die Likörflasche gekommen sind? Bitte schreibt uns, wenn ihr es herausgefunden habt.

*Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral, Heinrich Böll

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