Warum auch in der Hölle guter Wein gedeiht

Warum auch in der Hölle guter Wein gedeiht

„Die Willemer wohnet uff de Höll’!“ das sagen die Rafzer über die Bewohner von Wil, denn ein paar entscheidende Höhenmeter machen den Unterschied. Wenn man Glück hat und als Wilemmer auf einen netten Rafzer trifft, bekommt man auch eine Wanne mit kaltem Wasser bereitgestellt, damit man sich die Füsse vom Höllenritt abkühlen kann.

Diese und andere Geschichten erzählt man sich in Wil im Zürcher Unterland. Ein Necken, das seit jeher zwischen den zwei Gemeinden besteht. Und trotzdem zeugt es von einer Liebe, denn schlussendlich halten sie zusammen und sind füreinander da.

So geschah es auch mit Hansruedi Neukom und Maya Neukom-Kern. Obwohl Maya aus Rafz sich immer geschworen hatte, nie mit einem Willemer zusammen zu kommen – und schon gar nicht einem Weinbauern – hat die Liebe sie eines anderen gelehrt. Zusammen haben sie nicht nur die Liebe zueinander gefunden, sondern auch die zum Wein. Was 1990 mit dem traditionellen Bauernhof der Eltern begann, wurde mit der Zeit mehr und mehr zu einem Weingut, der nun zig ausgezeichnete Weine hervorbringt.

Das Wein-Workout

Doch von Anfang an: wir bei PlaceToBee wollten unbedingt einen Hof zur Weinlese besuchen.

Die Terminanfragen erwiesen sich gar nicht als so einfach, denn niemand hatte Zeit bzw. konnte die Zeit planen.

Nachdem ich auf dem Weingut der Neukom’s zu Gast war, weiss ich warum… Die „Wümmet“ – so heisst die Weinlese hier – ist der finale wichtige Arbeitsschritt im Weinberg im Jahr, der unter anderem bestimmt, wie die Basis für die zu kelternden Trauben ausschaut.

Denn teilweise entscheiden Tage darüber, wie sich die Trauben geschmacklich auf den „letzten Metern“ entwickeln. Lässt man sie ein wenig länger in der Herbstsonne, werden sie süsser und können damit höhere Oechslewerte erzielen. Aber dies birgt auch die Gefahr, dass sie so lecker werden, dass Tiere daran Gefallen finden oder gar überreif werden und vom Schimmel befallen werden könnten. Und das wäre schade nach all der Arbeit und Musse, die über das gesamte Jahr aufgebracht worden sind. Oder aber, und so war es dieses Jahr, ein heisser Sommer hat für frühreife Trauben gesorgt und die gesamte Ernte musste um Wochen vorgezogen werden. Von anderen Wettereskapaden, wie Hagel, Frost und Regen, die über das Jahr drohen, ganz zu schweigen: Beschädigung der Trauben oder Reben, Verwässerung oder gleich ein ausbleibender Trieb.

Dieses Jahr waren viele der von uns angefragten Winzer und „Halbacht-Stellung“, um jeden Tag aufs Neue zu entscheiden, ob der Tag der richtige zum Ernten sei.

Und bei Neukom sprechen wir von 8.5 Hektaren und 45.000 Rebstöcken. Nach dem Studieren des Wetterberichts fährt Hansruedi am frühen Morgen in die Reben und begutachtet den Status der Trauben und entscheidet dann, ob Erntetag ist oder nicht.

Gleichzeitig fragt Maya die fleissigen Wümmerer an, ob sie kurzfristig Zeit haben, um bei der Lese zu helfen. Proviant, Scheren, Eimer und Handschuhe werden verladen und dann geht es mit versammelter Mannschaft auf dem Anhänger, hinter den Traktor gespannt los in die Rebberge vom Rafzerfeld.

Und ich bin mit dabei! Ich stelle mich allen vor. Viele der Helfer aus Wil, Rafz und der Umgebung kennen sich bereits.  Sie sind seit Jahren fester Bestandteil der Wümmet. „Und dann kommen die Rafzer hinunter in die Willemer Hölle und helfen“, denke ich und muss schmunzeln.

So ist es aber, wenn man die besten Trauben ernten möchte. Denn die wachsen nun mal nur auf dem höllenheissen Boden von Wil.“ So lautet die Antwort von Maya. Ha! Die rumpelige Fahrt geht steil bergauf.

Kaum sind wir da, geht es los. Hansruedi macht eine Ansage, welche Trauben zuerst dran sind und wie sie abgeknipst werden. Mit Eimer und Schere bewaffnet laufen alle den steilen Hang hinunter, um dann von unten nach oben in Zweiergruppen die Rebzeilen abzuernten. Überreife und matschige Trauben kommen nicht in den Eimer.

Bücken, klettern, schneiden und aufpassen, dass kein Finger zwischen die scharfen Klingen gelangt. Mein erster Eimer ist voll. Man muss im Tempo bleiben, damit man dem kleinen Rebtraktor nicht den steilen Berg hinterherlaufen muss, sondern den Eimer im Vorbeifahren in die Stande entleeren kann.

Auf einmal kommt Gemurmel auf. Hoch oben vom Rebberg kann man sehen, wie dunkle Wolken aufziehen. Im Regen ist ein Arbeiten in den Reben nicht möglich. Also geben alle Gas, um ihre Rebreihe vor dem Schauer zu Ende zu bringen. Fast, aber eben nur fast haben wir es geschafft und mit letzter Kraft rennen wir wieder hinauf zum Anhänger. Ich bin aus der Puste.

Nun heisst es warten, bis der Schauer vorüber gezogen ist. Die Zeit wird mit einem Gläschen Rosé überbrückt. Nachdem es aufklart, geht es wieder zurück in den nächsten Rebberg. Wieder den Hang hinabklettern, bücken, schneiden, Eimer ausleeren, hinaufklettern und vor dem Regen flüchten. Ich nenne das ein anspruchsvolles Wein-Workout!

Nach guten vier Stunden kehren wir zurück und alle stürzen sich hungrig auf die Wähen und den leckeren Kuchen. Dazu gibt es natürlich den hauseigenen Wein. Und hier hat man die Qual der Wahl. Denn einer ist besser als der andere. Dies bezeugen die vielen Auszeichnungen, die das Weingut Neukom jährlich einheimst. Vom Rubin Barrique bis zum Cuvée Blanc über Merlots Barrique und Achat und Heida, kein Tropfen kommt um eine Medaille drumherum.

In Vino Veritas – Im Wein liegt die Wahrheit

Das beweist auch der Geschmack. Von dem kann man sich bei Degustationen vor Ort überzeugen oder als Set nach Hause bestellen. Das Resultat lügt nicht und zeugt davon, wie die Familie das ganze Jahr über gearbeitet hat. Das erklären mir Tony und Leo. Die zwei Neukom-Brüder, die das Arbeiten in und mit den Reben von Kind auf kennengelernt haben.

Offiziell arbeiteten sie seit 2012 auf dem Weingut, bevor sie dieses in 2022 übernommen haben. Ich mag die beiden, denn wie die gesamte Familie Neukom plaudern sie gerne und viel, so wie ich.

Bei meinem Aufenthalt empfangen mich die beiden im Weinkeller, wo ich just an dem Tag die Abbeermaschine in Action erleben kann. Wie der Name schon sagt, hier werden die Beeren von den Stielen abgetrennt. Die Schale, das Fruchtfleisch und der Saft können dann in der Presse weiterverarbeitet werden, aus der es heute dampft. „Für Glühwein ist es noch ein bisschen früh im September“, schiesst es mir in den Kopf. Aber es ist Trockeneis, um das weisse Traubengemisch hinunterzukühlen. Und dann beginnt Tony zu erklären, wie er danach flotiert wird (die Vorklärung) und dann in den Tank kommt, wo er erst einmal bei maximal 20 Grad Celsius gärt (Fruchtzucker wird durch Hefe in Alkohol umgewandelt) und dann zur finalen Klärung von der Hefe befreit wird.

Nach der 2. Gärung, bei der Apfelsäure in Milchsäure verwandelt wird, reift er zu seiner Vollendung heran und wird hoffentlich, weich, rund und harmonisch im Geschmack.

Wie gesagt, das beschreibt nur die Arbeit im Keller. Die einzelnen Schritte im Weinberg vom Winter an mit der Beschneiden und Abbinden der Rebstöcke, dem Bibbern vor den Eisheiligen, dem Ausbrechen der Schosse im Frühjahr, dem Ablauben, dem Schutz vor Befall von Vögel, Wespen und anderen Tieren ist hier noch nicht erwähnt. Dafür aber auf einem sehr empfehlenswerten Instagram Profil naturtalent_ch, wo Tony und Leo Vollgas geben und allerlei Weinwissen preisgeben und das Weinjahr in kurzen Videos dokumentieren.

Hell Drop – eine Höllenarbeit

Eine Höllenarbeit! Das habe ich nach zwei Tagen im Weinberg und im Weinkeller gelernt. Vielleicht war dies auch der Namensgeber für ihren Dessertwein „Hell Drop“. Und ja, wenn ein Weinjahr so gut verläuft, überrascht es mich nicht, warum die Neukom’s so gute Laune haben. Zum Wohl!

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