So geht Landwirtschaft im Emmental
Einblicke in den Alltag eines Jungbauern

So geht Landwirtschaft im Emmental
Einblicke in den Alltag eines Jungbauern

Die steile Anfahrt über unbefestigte Wege durch den Wald führt hinauf auf die Brandishub, wo der Jungbauer Markus Schlunegger lebt und arbeitet. Er erwartet mich bereits und wir fahren zusammen weiter hinauf zum eigentlichen Stellplatz. Eine grosse grüne Wiese mit Blick über die umliegenden Dörfer und die bergige Landschaft.
Markus gibt mir den Tipp gegen die Bise zu parkieren. Der kalte Nordwind bläst diesen Tag seicht über die Hügel.

Wir unterhalten uns ein wenig und er zeigt mir mit weit ausgebreiteten Armen stolz seine 11 Hektar Land. Darauf baut er verschiedene Getreidesorten wie Urdinkel und Weizen an, die an die Mühle Kleeb zur weiteren Verarbeitung zu Mehl weitergegeben wird. Ein grosser Teil ist für die Rinder zum Weiden gedacht. Ein weiteres abgetrenntes Feld ist für die Weidegänse – mit Pool. „Gänse gehören zur Familie der Wassergeflügel und brauchen ihr tägliches Bad, um das Gefieder sauber und geschmeidig zu halten.“ so erklärt mir Markus.

Der Hof auf der Brandishub ist mittlerweile der sechste, den ich auf meiner Reise durch die Schweiz besuche. Und mit jedem Mal wird es schöner und schöner. Ich bin von der Weite beeindruckt und auch von Markus’ Geschichte.

Am frühen Morgen mache ich mich auf den Weg und folge den Trampelpfaden, die um die Brandishub führen. Entlang von Wiesen, durch Wälder und Feldern, hinab zum Stall. Dort stehen die Rinder im Stall und warten auf ihr Frühstück. Markus ist bereits vor Ort und schippt unermüdlich die Silage in die Futterkrippe. Das ist mitunter das Erste, was Markus am Morgen tut. Danach mischt Markus das Ergänzungsfutter in einem alten Betonmischer. Ein „Superfood“ für Rinder aus Mineralstoffen, Effekten und Viehsalz. Sie dienen der Pflege der Magenbakterien, dem Knochen- und Muskelaufbau. Zum Abschluss greift Markus zu einer Dose Energydrink, die er in „Krüpfe“ über das Futter kippt. Ich bin verwundert und frage ihn, ob die Tiere wirklich Taurin trinken? Markus lacht und sagt, dass es sich um Apfelessig handelt, der die Darmflora nährt.

Die Rinder kommen in der Regel zu ihm auf den Hof, sobald sie abgetränkt worden sind. Gut ein Jahr verbringen sie dort, um dann je nach Art zu Mutterkühen oder Weidebeef heranzuwachsen. Heute ist für sie ein grosser Tag. Nachdem sie den Winter im Stall verbracht haben, sollen sie heute das erste Mal auf die Weide kommen. Doch bevor das passiert, muss diese kontrolliert werden. Also schnappt er sich Eimer und Stechgabel. Ich darf mitkommen. Wir suchen kleine Disteln und Ampfer. Unkraut, „das mögen die Tiere nicht so gerne“ scherzt Markus. Ich muss sehr laut lachen und bin überrascht, als wir diese grosse, steile und unendlich scheinende Weide zu Fuss in Linien ablaufen und die kleinen Pflänzchen im Gras suchen. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass es so genaue Handarbeit benötigt, damit die Tiere es gut haben und nur das Beste vom Besten auf ihrer Weide zum Grasen finden. Während wir die Weide hoch und hinunter laufen bin ich stolz, dass ich hier und da eine Distel finde. Ein gutes Gefühl, auch etwas zum Wohlergehen der Tiere und des optimalen Pflanzenbestandes beitragen zu können. Währenddessen unterhalten wir uns. Über das Leben im Allgemeinen und Besonderen. Ich erfahre viel von Markus’ Leben: wie er damals vor zehn Jahren den Hof alleine von seiner Familie übernommen hat. Seine Beweggründe, den Schwierigkeiten und Herausforderungen. Die Demut, mit der er sich dem Leben mit den Tieren und im Einklang mit der Natur widmet und bürokratische Hindernisse, die einem den Alltag als Landwirt erschweren können. Die Anfänge waren schwer und er musste viele Kompromisse eingehen, doch heute freut er sich, diese Entscheidung getroffen zu haben. Er weiss zu schätzen, was er hat.

Die Ausbildung zum Landwirt dauert drei Jahre und ich bekomme bei meiner spontanen Unterrichtsstunde nur einen kleinen Einblick in das komplexe Wissen. Ganz zu schweigen von den vielen Details, die es zu beachten gibt, wenn man wirklich nachhaltig arbeiten möchte. Es gibt zum Beispiel Punktekataloge, die zur Erlangung von IP-SUISSE Zertifikaten erfüllt sein müssen. Das Einmaleins des Kreislaufs einer nachhaltigen Landwirtschaft ist gross. Den Bauern wird vieles abverlangt, was man im Unternehmensfachjargon als „Multitasking“ bezeichnen würde. Die Arbeit draussen auf dem Feld mit den Tieren bei jedem Wind und Wetter, die Koordination von Zulieferern und Produzenten, Ablaufoptimierung, Logistik und handwerkliche Fähigkeiten. Nicht zu vergessen, behördliche Formalitäten und die Buchhaltung. Markus frönt seinem Hobby und hat sich eine grosse Werkstatt neben dem Hof eingerichtet. Hier wird geschraubt, werden Maschinen repariert und die Traktoren Instand gehalten.

Das Telefon klingelt und Markus muss spontan los, da der „Saatgutberater“ gekommen ist, um die Urdinkelsaat zu begutachten. Da es im Winter nicht geschneit hat, ist der Boden gefroren und wieder aufgetaut und hat dadurch Risse bekommen. Bei der Aussaat haben nun die kleinen Wurzeln keinen guten Halt im Boden und können womöglich nicht heranwachsen. (Beim Keimen des Saatgutes liegt das Körnchen in der Luft und erreicht somit die nahrhafte Erde nicht. In diesem Fall spricht man davon, dass das Getreide „ausgewintert“ ist). Die Experten diskutieren auf dem Feld, welche Massnahmen ergriffen werden können. Danach wollen wir uns weiter unterhalten, doch das Telefon klingelt schon wieder und die Zusammensetzung für das neue Tierfutter wird besprochen.

Mal „Gans“ was anderes
Neue Produkte als Zukunftsperspektive in der Landwirtschaft

Wir fahren weiter im Gespräch, was sich Markus von der Zukunft erwartet, wünscht und erhofft. Er ist hier im „Ämmitau“ aufgewachsen und möchte wie viele andere Landwirte auch, dass ihre Arbeit und deren Wert anerkannt werden. Denn alle sollen davon profitieren. Das ist auch ein Grund, warum Markus Stellplätze für PlaceToBee anbietet.

Ich erfahre viel über die Gemeinschaft im Dorf. Markus engagiert sich in vielen Bereichen. So ist er Mitglied im Jodelverein und ist im Vorstand des Vereins weidegans.ch. Bei den Weidegänsen handelt es sich in der Schweiz um ein Nischenprodukt. Markus hat sich für diese Herausforderung entschieden, da sein Hof die besten Bedingungen für die Aufzucht erfüllt, ohne sie zu mästen. Hier haben die Tiere freien Auslauf, einen grossen Teich und sind vor natürlichen Feinden im Stall bei Nacht geschützt. Zur Weihnachtszeit werden die Gänse von einem auf Geflügel spezialisierten Metzger geschlachtet und fachgerecht gerupft – einer von rund vier in der gesamten Schweiz, die Gänse fachgerecht verarbeiten können. Die Zubereitung reicht von klassischem Gänsebraten oder –keulen. Derzeit probiert er sich an neuen Zubereitungsmethoden und lässt sie bei Niedrigtemperatur im Smoker garen und überlegt, welche Vermarktungsmöglichkeiten es gibt, um dieses gute Fleisch zu vermarkten, da es in der Schweiz noch sehr unbekannt ist. Jeder seiner Gäste ist eingeladen, seine Ideen miteinzubringen. Die Vermarktung läuft derzeit nur über den Direktverkauf und kann bei ihm direkt bestellt werden.

Wer Markus auf seinem Hof besuchen möchte, kann auch in der naheliegenden Umgebung viel erleben. Sein Hof liegt an der berühmten Herzroute Route 99. Diese spricht ein genussorientiertes Publikum an und kann in diversen Etappen zu Fuss oder mit dem Velo erkundet werden und kommt dabei bei Schaukäsereien vorbei, die den berühmten Emmentaler Käse herstellen, aber auch vielen anderen Produzenten heimischer Spezialitäten. In der Nähe liegt ebenso die Unesco Biosphäre Entlebuch. Sie ist einzigartig in der Vielfalt der Naturschätze und wird steht für „sanften Tourismus mit natur- und klimaverträglichen Angeboten“.

Auf welchem Weg auch immer man ins vielfältige Emmental gelangt, ein Zwischenstopp bei Markus auf der Brandishub ist ein Muss zum Verschnaufen, Innehalten, Staunen, Geniessen und Lernen.

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